Wirtschaft: Industrie

Textil

Handweberstühle setzte die Seidenweberei Bartels ein.
Handweberstühle setzte die Seidenweberei Bartels ein.

Vorläufer der Gütersloher Textilindustrie waren zum einen die Garnhändler bzw. Verleger und zum anderen die vielen Garnspinner. Doch zwischen 1830 und 1850 waren Erwerbsmöglichkeiten für Spinner trotz neu eingerichteter Spinn- und Webschulen nicht mehr gegeben.

 

1851 begannen Fritz Raßfeld und Wilhelm Delius ihre Seidenweberei mit Lohnarbeitern in Heimarbeit. 1857 beschäftigten sie 51 Arbeiter an 32 Webstühlen. Den Betrieb übernahmen 1857 die Tuchhändler Wilhelm und Ferdinand Bartels, deren Seidenweberei "Gebr. Bartels" in der Kökerstraße gegenüber dem heutigen Stadtmuseum die Arbeitsvorbereitung beherbergte, während die Webstühle weiterhin bei den Weberein in Heimarbeit betrieben wurden. Um 1880 waren 600 solcher Handwebstühle für die Seidenweberei in Minden-Ravensberg und Gütersloh im Einsatz. 1882 nahm Bartels die ersten mechanischen Webstühle in Betrieb und begann den Übergang von der dezentralen Manufaktur zum Industriebetrieb. Nach dem Bau einer Fabrikanlage an der Berliner Straße 1890 wurde die Zahl der Handwebstühle von 150 im Jahr 1897 auf 79 (1911) zurückgeführt, während der Maschinenbestand von 270 (1897) auf 420 im Jahr 1911 anwuchs. Die Zahl der Beschäftigten stieg in dieser Zeit von 450 auf 490 in Gütersloh und dem heutigen Bielefeld.

Weberei Greve + Güth
Weberei Greve + Güth

Sechs weitere Textilbetriebe wurden nach der Gründung des Deutschen Reiches sofort als mechanische Webereien gegründet:

 

1874 Baumwollweberei Greve & Güth

1886 Strenger & Westerfrölke als Buntweberei

1887 Niemöller & Abel als Baumwollweberei und Fabrik für Arbeitsbekleidung

1888 Güth & Wolf als Band- und Gurtweberei

1893 Niemöller & Lütgert (schwere Baumwollstoffe)

1893 W. Bartels jun. (Seidenweberei)

Weberei Greve + Güth
Weberei Greve + Güth

Den ersten mechanischen Webstuhl ließ die Baumwollweberei Greve & Güth direkt an der Stadtgrenze Güterslohs in der Bauerschaft Kattenstroth aufstellen.

Die von einer Dampfmaschine angetriebenen Webstühle erforderten nicht nur Fachkräfte für den Webvorgang, sondern auch erhebliche Investitionen in Kesselhäuser, Fabrikhallen und Rohstoffe. Die Gütersloher Textilkaufleute hatten dieses Kapital seit Generationen angesammelt. Für die einfache Bevölkerung ergab sich die Möglichkeit, die neuentwickelten Berufe der Textilverarbeitung zu erlernen und so den Lebensunterhalt zu verdienen. Um 1900 gab es in den sieben großen Textilbetrieben über 700 Arbeitsplätze für Männer, Frauen und zum Teil auch Jugendliche und Kinder.

 

Das Stadtmuseum stellt die Entwicklung des ersten großen Industriezweiges in Gütersloh in seiner Industrieabteilung umfassend vor. Ergänzende Materialien – etwa die Berichte zur Kontrolle der Arbeitszeitvorschriften – sind im Stadtarchiv einzusehen. Spuren der Entwicklung in der Textilindustrie sieht man noch an der "Weberei" und bei "Niemöller & Abel" an der Ecke Verler Straße/Carl-Bertelsmann-Straße, die übrigen Betrieb sind in den 1960er Jahren eingestellt und später abgerissen worden.

Belegschaft der Weberei Niemöller und Abel
Belegschaft der Weberei Niemöller und Abel

Druck

Erste Steindruckerei von Carl Bertelsmann in der Münsterstraße (links)
Erste Steindruckerei von Carl Bertelsmann in der Münsterstraße (links)

Carl Bertelsmann (1791-1850) eröffnete 1824 die erste Steindruckerei in seinem Elternhaus in der Münsterstraße. 1835 erweiterte Bertelsmann die Steindruckerei – nun an der Kirchstraße - um eine Buchdruckerei und eröffnete zugleich eine Verlagsbuchhandlung und damit den Beginn des Verlags.

 

Zunächst waren nur wenige Mitarbeiter in der Druckerei und im Verlag tätig, doch schon in den 1860er Jahren expandierte der Verlag z.B. durch die Übernahme des Stuttgarter J.B. Liesching-Verlages. Auch die Auflagen der Druckwerke wuchsen immer mehr an.

Verlagsgebäude Carl Bertelsmann in der Eickhoffstraße
Verlagsgebäude Carl Bertelsmann in der Eickhoffstraße

So entstand 1868 an der Bahnhofstraße ein neues Verlagsgebäude für die nun schon 60 Mitarbeiter und Mitrarbeiterinnen. Die Bahnhofstraße heißt heute Eickhoffstraße. Sie ist nach Bertelsmanns Schwiegersohn Friedrich Eickhoff und dessen Söhnen Paul und Heinrich als Gütersloher Heimatgeschichtsforschern benannt. Dort vergrößerte Bertelsmann sich bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auf dem Areal von C&A, Zentralem Busbahnhof (ZOB) und Kinocenter Cinestar.

Gründungsstätte des Verlages war 1835 das Bertelsmann-Haus an der Kirchstraße 3. Es wurde am 10.11.1938 niedergebrannt, da es der jüdischen Familie Löwenbach gehörte.
Gründungsstätte des Verlages war 1835 das Bertelsmann-Haus an der Kirchstraße 3. Es wurde am 10.11.1938 niedergebrannt, da es der jüdischen Familie Löwenbach gehörte.

Bertelsmann war auch Arbeitgeber des Steindruckers Ludwig Flöttmann, der 1866 in Sundern eine eigene Druckerei eröffnete (als Bertelsmann diesen Geschäftszweig eingestellt hatte). 1879 zog Flöttmann mit der Steindruckerei in die Kökerstraße. Dort wurde 1895 das dreigeschossige Druckereigebäude errichtet, in dem die örtlichen Adreßbücher ebenso wie zahlreiche Werbedrucksachen gedruckt, gefalzt, gebunden und schließlich verpackt wurden.

Von 1890 - 1922 wurde im Druckhaus und im 1903 errichteten Wohn- und Geschäftshaus Flöttmann (Kökerstraße 5) auch die "Gütersloher Zeitung" redigiert und hergestellt. Der Flöttmann-Verlag hatte sie 1890 von der später eingestellten Druckerei "Vormbäumen & Co." erworben, die das Blatt 1884 als erste örtliche Zeitung auf den Markt gebracht hatte.

Vorderhaus der Druckerei Flöttmann an der Kökerstraße um 1900.
Vorderhaus der Druckerei Flöttmann an der Kökerstraße um 1900.

Die "Neue Gütersloher Zeitung", das spätere "Gütersloher Tageblatt", erschien als etwas liberalere Gütersloher Zeitung seit 1890 in der Druckerei Schmäling & Ohlbrock an der Schulstraße. Einer ihrer wichtigen Mitarbeiter dieser Zeitung war der Bürgermeister Emil Mangelsdorf. Schmäling & Ohlbrock fertigte seit 1886 eine Vielzahl amtlicher und industrieller Drucksachen.

Nahrungsmittel

1875 gründete Heinrich Niemöller in der Münsterstraße die erste Nudelfabrik in Westfalen. Zehn Jahre später entstand an der heutigen Carl-Bertelsmann-Straße ein großer Neubau für dieses Getreide verarbeitende Unternehmen.

1897 entstand in unmittelbarer Nähe - im 1868 aus der Bauerschaft Sundern zum Stadtgebiet eingemeindeten Industriegebiet - die Nudelfabrik C.H. Diestelkamp, deren Erzeugnisse ebenfalls unter industriellen Bedingungen mit Hilfe von Maschinen hergestellt wurden. Die anfängliche Produktionsmenge von täglich 10 Zentnern Nudeln stieg sehr schnell um ein Vielfaches an. Heute befindet sich in dem ehemaligen Fabrikgebäude die "Medienfabrik".

Fleisch

Die Fleischverarbeitung entstand schon vor dem Bau der Eisenbahnlinie im traditionellen Fleischerhandwerk. Zwischen 1834 und 1841 verdreifachte sich der Fleischwarentransport aus Gütersloh nahezu – die Menge der rohen Häute stieg sogar noch mehr an.

 

Die seit 1800 bestehende Fleischerei Vogt, die seit 1837 von den Brüdern Wilhelm, August und Hermann Vogt geführt wurde, handelte mit Fettwaren und stellte im Gebäude an der Kirchstraße Fleisch her. Als es 1878 von Wilhelm Vogt und Heinrich Wolf übernommen wurde, investierten die jungen Inhaber in eine Dampfmaschine (1880) und verbesserten so die Herstellungsmöglichkeiten. 1889/90 verlagerte man die Produktion in einen Neubau in Pavenstädt. Er wurde zum Kern der heute noch an der Herzbrocker Straße bestehenden Anlage werden sollte. 1894 wurde erstmals in Deutschland die Lufkühlung für die Fleischwarenfabrikation eingeführt. Damit begann die Umstellung des Saisonbetriebes der Fleisch- und Wurstwarenherstellung auf die ganzjährige Produktion. Vogt & Wolf stellt in erster Linie Dauerwurst, westfälische Schinken und Schinken und Würstchen in Dosen her.

 

1855 gründete I.F. Marten in der Münsterstraße seine "Gütersloher Fleischwarenfabrik". Sie fertigte als erste in Gütersloh Dosen-Würstchen, Dauerwaren, westfälischen Schinken und feine Aufschnitte. Heute gehören Marten und Vogt & Wolf zu einer Unternehmensgruppe.

Industrielle Fleischverarbeitung
Industrielle Fleischverarbeitung

 

An den Linien der Köln-Mindener-Eisenbahn und später der Teutoburger Wald Eisenbahn errichtete 1894 die "Gebrüder Wulfhorst A.-G." ihre modernen Fabrikanlagen. Dauerwurst und westfälische Schinken waren ihre wichtigsten Produkte. Noch 1917 erhielt sie – nach zahlreichen Qualitätsauszeichnungen ab 1897/98 – den Titel eines Königlich Preußischen Hoflieferanten.

 

Diese großen Betriebe der Fleischwaren-Industrie sowie zahlreiche kleinere Betriebe liessen sich das Schlachtvieh in erster Linie mit der Eisenbahn nach Gütersloh bringen. Auf dem Güterbahnhof gab es eine eigene Rampe für die Entladung der Viehwaggons mit Schweinen und Rindern.

 

Im Ersten Weltkrieg war Gütersloh wegen der ausgezeichneten Versorgung durch die heimische Fleischwarenindustrie als Truppen-Verpflegungsstation auf dem Bahnhof besonders beliebt. Die dort ausgegebenen Speisen waren zu Kriegsbeginn oft mit Wurst und Fleisch als Spenden der Firmen angereichert. Trotz der folgenden Notjahre war die Erinnerung an die ausgezeichnete Verpflegung in Gütersloh für viele der Soldaten auch ein nachhaltiges Erlebnis mit Werbewirkung für heimische Produkte.

 

 

Metall

Die Metallverarbeitung begann vor Ort mit der Arbeit der Schmiede und Kupferschmiede. Aus deren Tätigkeit entwickelte sich letztlich die heutige Metallwaren- und Elektrogeräteindustrie, an deren Anfang beispielsweise die 1843 gegründete Schlosserei Wilmking stand. Als 1872 Gustav Wilmking das Geschäft übernahm, entwickelte er den Zweig der Kunstschmiede weiter, ab 1883 verkaufte er Haustelegraphen und ab 1897 auch Fahrräder. Sparöfen, Blitzableiter und Tresore gehörten zu den gefertigten Produkten. Den Durchbruch zur industriellen Produktion ermöglichte jedoch die Mausefalle. Für das Produkt unter dem Markennamen "Luchs" ließ Gustav Wilmking Gütersloh (wurde zum Firmenkürzel GWG) 1906 eine Fabrik in Kattenstroth errichten, wo auch die berühmten Meßbecher und viele andere Haushaltsgegenstände hergestellt wurden.

 

1890 gründete Heinrich Spreen eine Metallfabrik, die hauptsächlich das Militär mit Schemeln und Bettgestellen belieferte; an der damaligen Wilhelmstraße (heute Carl-Bertelsmann-Straße) entstand 1890 die "Blechemballagenfabrik Weller", in der die Blechgefässe für viele Gütersloher Lebensmittel produziert wurden. Das Gelände erwarb 1912 die Seilerei Wolf aus Bielefeld, die noch vor dem Ersten Weltkrieg die Herstellung von metallenen Förderseilen, etwa für den Bergbau, aufnahm.

Draht Wolf
Draht Wolf

1912 gründete Wilhelm Fissenewert mit seinem Bruder an der Ecke Dammstraße/ Feuerbornstraße die "Maschinenfabrik mit Kettenwerk", die vor allem Gelenkkettten für Hebegerät und Bagger produzierte. Direkt nach dem Ersten Weltkrieg begann Fissenewert an der Neuenkirchener Straße mit dem Neubau der Produktionsanlagen.

 

Alle gennannten Metallbetriebe entstanden aus der Initiative von Güterslohern. Es gab aber auch etliche Metallfirmen, die von auswärts nach Gütersloh übersiedelten: Die Drahtseilerei Wolf aus Bielefeld übernahm dabei einen bestehenden Metallbetrieb, die Mutternfabrik Wolters übernahm 1920 die vorherigen Buntmetall-Verarbeitungsanlagen der "Emsland-Metall" (1914-1918) in der früheren Schlmöbelfabrik Harlinghausen an der Teutoburger Wald Eisenbahn.

 

Wichtigster neu in Gütersloh angesiedelter Betrieb war die Maschinenfabrik Miele. Sie übernahm 1907 die kurz zuvor errichtete Gießerei August Verleger und siedelte mit 40 Mitarbeitern aus Herzebrock nach Gütersloh über, wo die Belegschaft außergewöhnlich schnell anwuchs. Den Wandel der Miele-Produkte in ihrem Schwerpunkt von der landwirtschaftlichen Geräteindustrie zur Hausgeräte-Industrie vollzog das Unternehmen in Gütersloh sehr erfolgreich und baute hier sogar zusätzlich Automobile. Die Weiterentwicklung dieses Produktionszweiges wurde allerdings Anfang 1914 wegen der hohen Investitionskosten einstellt.

 

Holz

Die Anfänge der Holzverarbeitung in Gütersloh in größerem Stile liegen im Bedarf nach mehr und kostengünstigem Bauholz. 1874 eröffneten der Maurermeister Carl Stockmeyer und der Zimmermeister Heinrich Diestelkamp ihre Bauholzhandlung mit Sägewerk. Das Rohholz wurde zunehmend mit Hilfe der Eisenbahn importiert. Stockmeyer & Diestelkamp stellten auf ihrem wachsenden Areal an der heutigen Carl-Bertelsmann.-Straße aber auch Tischlerplatten und andere Holzprodukte her.

 

Fast zur gleichen Zeit begann 1879 die Firma Osthushenrich & Söhne an der Blessenstätte

mit der Fertigung von Möbeln und zusätzlich von Holzkisten für die Gütersloher Industriebetriebe. Der Bedarf an Versandkisten für die bestehenden Betriebe der Textil- und Fleischwarenindustrie sowie die allmählich hinzukommenden Nahrungsmittel-Produzenten wuchs enorm an. Osthushenrich konnte seinen Betrieb bereits 1908 an der Blessenstätte vergrößern und bezog 1913 die neu errichtete Fabrik Am Anger, wo ein Anschlußgleis an die Teutoburger Wald Eisenbahn den Transport des Rohholzes ebenso erleichterte wie den Abtransport der Kisten. Trotz des Einsatzes von Maschinen beschäftigte "die Kistenbude" zahlreiche Arbeitskräfte.

Holzplatz Ruhenstroth
Holzplatz Ruhenstroth

Um die Jahrhundertwende begann das Wachstum der Grubenholzhandlung L. Ruhenstroth. Christoph Ludwig Ruhenstroth aus Sundern hatte 1855/60 den Holzhandel mit Eisenbahnschwellen und Grubenholz eröffnet. 1890 übernahm Sohn Willy mit 18 Jahren das Geschäft. Kurz vor 1900 war man von einem Lagerplatz an der Wilhelmstraße zum Gelände direkt an der Eisenbahn umgezogen, wo die Sägeanlagen nun ständig erweitert wurden. Die Spanplatten- und Furnierherstellung begann WIRUS, wie das Unternehmen später nach seinem langjährigen Inhaber hieß, allerdings erst ab 1923.

 

Holz wurde in Gütersloh auch an anderen Stellen in größeren Mengen genutzt: An der Teutoburger Wald Eisenbahn gab es bis 1914 die Schulmöbelfabrik Harlinghausen und ab 1906 entwickelten vor allem die Mausefallenfabrik Wilmking und die Haushaltsgeräte der 1907 aus Herzebrock übergesiedelten Firma Miele einen großen Mengen- und Qualitätsbedarf.

Dementsprechend gehörten die großen Lagerplätze schon zum Bild von Industrieanlagen in Gütersloh, bevor nach dem Weltkrieg der Aufstieg der Möbelindustrie begann. Welche Ausmasse diese Holzplätze annahmen zeigt beispielsweise der Miele-Film über die Herstellung von Holzbottich-Waschmaschinen in der Industrieabteilung des Stadtmuseums.