Soziales: Kommunale Hilfen
Kommunale Armenpflege
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts hatten viele Menschen keine sichere Erwerbsmöglichkeit in der Landwirtschaft oder in den gewerblichen Betrieben. Viele waren arm und auf die Hilfe anderer
angewiesen. Doch die Hilfeleistungen aus christlicher Nächstenliebe reichten nicht aus, die Not aufzufangen. Das "Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten” von 1794 hatte dem Staat die
Versorgung der Armen übertragen. Seit 1815 galten die Vorschriften auch in der preußischen Provinz Westfalen. Staat und Provinz delegierten die Armenpflege an die Städte und Landgemeinden. Im Jahr
1818 wurde die Armenversorgung für das Kirchspiel Gütersloh neu geregelt. Es wurde ein 12köpfiger Armenvorstand gebildet, jedes Mitglied war für einen bestimmten Bezirk verantwortlich:
Pastor Ludwig Schlüter als Vorsteher, der 2. Pastor, Johann Friedrich Lüning, Bürgermeister Christoph Tegeler, der Kaufmann Peter Gottlieb Tegeler, der Gutsbesitzer G. R. Samuel, der Kleinhändler
Adolf Fisse, der Rendant Hermann Marmelstein und die Hofbesitzer (Kolone) Westersötebier, Piepenbrock, Doheermann, Heissmann und Dettmar als Verteter der Bauerschaften Blankenhagen, Sundern und
Pavenstädt.
Im Jahr 1818 wohnten im Dorf und in den Bauerschaften 5667 Menschen, darunter waren 86 Familien, bzw. ca. 500 Personen, die zu den "notorisch Armen” gezählt wurden. Die Unterstützung erfolgte aus
einem Armenfond, dessen Vermögen sich aus Spenden evangelischer und katholischer Einwohner zusammensetzte. Für das Jahr 1834 ist die Einnahme von 1016 Reichstalern belegt, die für die Unterstützung
und Bekleidung armer Familien und zur Unterbringung von Waisenkindern verwandt wurde.
Infolge der Trennung von Stadt- und Landgemeinde im Jahr 1842/43 mußte der bisher gemeinsame Kommunal-, Armen- und Schulverband geteilt werden. Für die Stadt wurde 1845 unter dem Vorsitz des
Bürgermeisters eine "Deputation für das städtische Armenwesen” gebildet, die den "Arbeitsfähigen Verdienst, den Unvermögenden, besonders den heimlichen verschämten Armen notdürftige Unterstützung
verschaffen, die Bettler aber ausschließen und der Polizei überweisen sollte.”
Trotz des ständig wachsenden städtischen Zuschusses zum Armenetat konnte die städtische Armenpflege die Ursachen des Elends langfristig nicht beheben. 1849 wurde neben den bereits bestehenden
Hilfsvereinen wie dem "Verein zur Erziehung verwahrloster Kinder” eine kirchlich-christliche Armenpflege begründet. Dieses Vorhaben ging in wesentlichen Punkten auf den Verlagsgründer und
Stadtverordneten Carl Bertelsmann zurück. 1851 übernahm das Presbyterium der evangelische Kirchengemeinde die gesamte Armenpflege, an die Stelle des Bürgermeisters trat der Praeses Prebyterii, an die
Stelle des Armenvorstandes die Mitglieder des Presbyteriums. Damit entfielen die Zuschüsse aus der städtischen Kämmereikasse.
Aufgrund des fehlenden Engagements der Verantwortlichen und ausbleibender Einnahmen mußte das System nach einigen Jahren neu organisiert werden. Am 1. Juli 1867 wurde eine Armensteuer eingeführt und
1868 der Armenvorstand durch Wahl vom Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung neu gebildet. Die Armen-Kommission setzte sich nun aus dem Bürgermeister als Vorsitzenden, den Pfarrern beider
Konfessionen, dem Armenarzt, sechs Bezirksvorstehern und deren Stellvertretern zusammen.
Durch mehrere Stiftungen und Erbschaften konnte das Vermögen des Armenfonds weiter gesteigert werden und u.a. zum Bau des Krankenhauses Barthsche Stiftung verwandt werden. Im Jahr 1875 erhielt die
Stadt durch das Vermächtnis des Kaufmannes Karl Heinrich Strenger das Wohnhaus an der Ecke Berliner Straße / Strengerstraße zur Nutzung als Armenhaus. Zusammen mit der ausgebauten Scheune konnten 8
Familien und 6 Einzelpersonen untergebracht werden.
1893 wurde die Arbeit des Gemeinde-Waisenrates in die Armenverwaltung integriert, der Bürgermeister fungierte fortan auch als Zentral-Waisenrat. Die Armenpfleger (1911: Ferdinand Bartels, Otto
Krönig, Fritz Niemöller, Gottfried Niemöller, Wilhelm Puwelle und Heinrich Zumbaum) waren gleichzeitig Waisenräte.
1910 wurde das Armenhaus an der Strengerstraße an den Gärtner Witte verkauft. Der letzte Armenhausvorsteher war der Kolon (Landwirt) Ludwig Barkey. Das Gebäude wurde 1958 abgerissen. Als
selbständiger Ortsarmenverband wurde die Armen- und Waisenfürsorge durch die Stadt bis zum Jahr 1924 wahrgenommen. Unterstützt wurden Arme, die in Familien, Kinderheimen und Krankenanstalten versorgt
wurden, aber auch Klein- und Sozialrentner.
Armenhäuser
Armenhäuser gab es in der Stadt Gütersloh, im Amt Gütersloh und in Kattenstroth. In ihnen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die verarmten und hilflosen Personen aus der jeweiligen
Gemeinde untergebracht. Finanziert wurden diese öffentlichen Einrichtungen aus Mitteln der Armenkasse, wozu private Spender aber immer wieder erhebliche Geld- oder Sachspenden gaben.
Das Eckhaus an der Berliner Straße zur Strenger Straße zum Beispiel war von 1875 bis 1910 städtisches Armenhaus. Es war das ehemalige Wohnhaus des Kaufmanns Karl Heinrich Strenger, in dem bis zu acht
Familien und sechs Einzelpersonen untergebracht werden. Es wurde 1910 von der Stadt Gütersloh verkauft.