Kirche: Evangelische Gemeinde

Simultankirche

Alte Pankkratiuskirche um 1900
Alte Pankkratiuskirche um 1900

Seit 1655 war durch den Hagener Rezess das Simultanverhältnis für die bestehende St. Pankratius-Kirche festgelegt worden. Vereinfacht gesagt hatten die Konfessionen den bisherigen kirchlichen Besitz an Grund und Gebäuden in Gütersloh untereinander aufgeteilt und geregelt, wer zu welchen Bedingungen weitere Pflichten und Rechte, z. B. an der nunmehr gemeinsam genutzten Kirche, in Anspruch nehmen konnte.

Auseinandersetzungen nach dieser konfessionellen Spaltung blieben trotz aller Regelungen bis ins 19. Jahrhundert nicht aus. So gab es 1724 einen tumultartigen Streit um den Ostertermin, weil dieses Fest zwischen dem in der evangelischen Herrschaft Rheda gebräuchlichen Kalender und dem im katholischen Fürstbistum Osnabrück genutzten um eine Woche verschoben war. Auch die Besetzung der evangelischen Pfarrstelle konnte bis 1780 durch das katholische Kollegiatstift in Wiedenbrück kontrolliert werden.

Ab 1780 beruhigte sich die Situation allmählich. Um 1820 wurde die Kirche beispielsweise von beiden Konfessionen gemeinsam umgestaltet. Zu dieser Zeit sind auch die Figuren der Kreuzigungsgruppe in der Alten Kirche aufgestellt worden, die heute im Stadtmuseum zu betrachten sind. Sie wurden bei der erneuten Umgestaltung nach 1890, nun nur durch die evangelische Gemeinde, wieder entfernt.

Im 19. Jahrhundert führte nur noch die gemeinsame Nutzung der Kirche gelegentlich zu Störungen der Gottesdienste mit nachfolgenden Querelen. Diese schliefen zeitweise ein, als zwischen 1861 und 1879 die evangelische Gemeinde ausschließlich ihre Neue Kirche nutzte. Um ihnen künftig aus dem Weg zu gehen beschloss man nach langen, 1882 begonnenen und erst 1887 abgeschlossenen Verhandlungen die Auflösung des Simultaneums an Kirche und Kircheneigentum.

Nur der gemeinsame Friedhof „Unter den Ulmen“ ist heute noch eine Folge des Simultaneums. Allerdings gibt es darüber einen eigenen Vertrag zwischen den beiden Kirchengemeinden.

Apostelkirche / Alte Kirche

Die „Alte Kirche” um 1900
Die „Alte Kirche” um 1900

Die alte „St.-Pankratius-Kirche“ hatte seit 1655 beiden Konfessionen für Gottesdienste gedient, doch 1861 ergab sich mit dem Bau der neuen Kirche für die evangelische Gemeinde die Chance, sie fast ausschließlich für die heimischen Katholiken zu nutzen. Nur noch zu Beerdigungen kamen 18 Jahre lang die Protestanten in ihre alte Kirche.

Die katholische Gemeinde hätte die Nutzungsrechte der Protestanten an der alten Kirche um 1860 kaufen und damit das Simultaneum beenden können. Doch Pfarrer Antonius Berens meinte, seine Gemeinde sei zu arm, um die Kirche allein zu unterhalten.

Als die evangelische Gemeinde 1879 ihren Gottesdienst wieder rechtmäßig in der alten Kirche feierte, begann auch Berens umzudenken. Der Kirchenvorstand und die Gemeindevertretung als Organe der katholischen Kirchengemeinde beschlossen am 20.12.1882 den Bau einer neuen katholischen Kirche.
Dazu musste allerdings das Simultaneum am gemeinsamen Kirchenbesitz zunächst aufgelöst werden, um finanzielle Handlungsfreiheit zu gewinnen.

 

In einem Auflösungsvertrag von 1887 stimmte die evangelische Gemeinde der Auflösung des Simultaneums zu. Im Oktober 1890 wurde sie alleinige Besitzerin und Nutzerin der alten Kirche, aus der mit Ausnahme des Beichtstuhls, des Altarsepulchrums und des Armenstocks für die Katholiken kein Mobiliar entfernt wurde.

1893 gestaltete die evangelische Kirchengemeinde die nun „Alte Kirche” genannte ehemalige „St. Pankratius-Kirche” für die Erfordernisse des evangelischen Gottesdienstes um.

Martin Luther-Kirche / Neue Kirche

Neue Kirche von 1861
Neue Kirche von 1861

Die Neue Kirche entstand wegen des starken Anstiegs der Bevölkerung und der großen Beteiligung der Gemeinde an den Gottesdiensten um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Wirken der ravensbergischen Erweckungsbewegung mit dem zwischen 1827 und 1837 auch in Gütersloh tätigen Pfarrer Johann Heinrich Volkening hatte nachhaltig zu einer immer größeren Teilnahme an den Gottesdiensten geführt. Die Absicht eines Neubaus entstand aber auch wegen der wiederkehrenden Reibereien um die mit den Katholiken simultan genutzte „St. Pankratius-Kirche“.

Der Architekt Christian Heyden aus Barmen plante die erste evangelische Kirche in Anlehnung an den gotischen Stil. Die klare neugotische Formensprache des zwischen 1857 und 1861 errichteten Gebäudes ließ den Baukörper zu den bemerkenswertesten Bauten der Neugotik in Westfalen werden.

Der erste Gottesdienst wurde 1861 in der „Neuen Kirche“ gefeiert. Um 1911 erhielt das Gebäude den Namen Auferstehungskirche. Im Herbst 1933 wurde die Kirche nach dem Reformator Martin Luther benannt, dessen 450. Geburtstag in jenem Jahr gefeiert wurde.

Evangelische Pastoren

Otto Meyer mit Frau
Otto Meyer mit Frau

Die Rollen der evangelischen Pastoren in Gütersloh veränderten sich mit der Entwicklung des wirtschaftlich starken Dorfes mit seinem ländlichen Umfeld zu einer aufstrebenden Industriestadt. Es ist unmöglich, die einzelnen Pastoren hier zu würdigen.

Die prägenden Pastoren waren die jeweils ersten Pastoren der Gemeinde. Christian Ludwig Schlüter (1769-18.1.1826) feierte 1819 sein 50jähriges Amtsjubiläum in Gütersloh.

Johann Heinrich Volkening ( 1796-1877) wurde im März 1827 Pastor in Gütersloh. Er war in vielen seiner theologischen Auffassungen und Aussagen in Gütersloh umstritten. Zugleich trug er wesentlich dazu bei, dass Gütersloh in den Kreisen des evangelischen Deutschlands als „die Stadt auf dem Berge“ geachtet wurde. Was als Anspielung auf die führende Rolle Jerusalems positiv gemeint war, löste mit Blick auf das kleine Gütersloh allerdings den Spottnamen „Nazareth“ aus. 1838 in Volkening nach Jöllenbeck, ohne den Kontakt nach Gütersloh abzubrechen: Die Gründung des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums geht unter anderem auf sein Wirken zurück.

Friedrich Greve
Friedrich Greve

1838 folgte ihm Friedrich Greve (1802-1863), der aus Gütersloh stammte und zuvor seit 1827 die zweiter Pfarrerstelle innehatte.

 

Der junge Hermann Moritz Banning (1838-1843 in Gütersloh) war als Teil der Erweckungsbewegung unter anderem ein wichtiger Gesprächspartner Heinrich Barths, der schließlich mit seinem Testament viele Aktivitäten der evangelischen Gemeinde förderte. Banning wurde nach fünf Jahren in Gütersloh nach Unterbarmen berufen. Sein Nachfolger August Florenz Müller verfasste in seiner Gütersloher Zeit (1843-1859) unter anderem Notizen zur Gütersloher Kirchengeschichte.

Karl Meinshausen
Karl Meinshausen

Otto Greve setzte in seinen Amtsjahren von 1862 bis 1901 die Tätigkeit seines Vaters und Vorgängers Friedrich im Sinne der Erweckung fort.

 

Der 1860 aus Barmen gekommene und 1883 hier verstorbene Otto Meyer gilt als außergewöhnlicher Prediger, dem 1884 bis 1912 Paul Siebold aus Schildesche folgte. Siebold war verwandtschaftlich mit Bürgermeister Emil Mangelsdorf verbunden und förderte insbesondere die bauliche Entwicklung der gemeindlichen Einrichtungen „ beispielsweise des Vereinshauses und des Konfirmandensaales. Ab 1910 war er zusätzlich Superintendent in Bielefeld.

Otto Greve
Otto Greve

1883 bereits war eine zusätzliche dritte Pfarrstelle eingerichtet worden. 1908 kam eine vierte Pfarrstelle hinzu. Karl Meinshausen (1883-1925 im Gemeindedienst) und Emil Seippel (1902-1912) waren mit ihren speziellen Fähigkeiten in der Blaukreuzarbeit bzw. Als ausgezeichneter Prediger vor dem Ersten Weltkrieg aktiv.

Emil Seippel
Emil Seippel
Hermann Moritz Banning
Hermann Moritz Banning
Christian Ludwig Schlüter
Christian Ludwig Schlüter
Johann Hinrich Volkening
Johann Hinrich Volkening
Pastor Siebold
Pastor Siebold

Kirchliche Einrichtungen

Evangelisches Vereinshaus an der Moltkesrtraße
Evangelisches Vereinshaus an der Moltkesrtraße

Seit 1882 besteht das Evangelische Vereinshaus an der Moltkestraße. Es sollte der männlichen Jugend als Begegnungsstätte dienen. Initiator Pastor Max Huyssen hatte unter anderem 1874 den Jünglingsverein (heute CVJM) gegründet. 1883 folgte ein Verein für die Weibliche Jugend. Mittelpunkt der Vereinsarbeit beider Gruppen war das Fortbildungs- und Unterhaltungsinteresse ihrer Mitglieder, die zugleich in das Gemeindeleben eingebunden werden sollten.

Im gleichen Gebäude bot die Herberge zur Heimat als christliches Hospiz den Handwerksgesellen auf Wanderschaft eine Unterkunft. Das Verbot von Kartenspiel und Alkohol und die täglichen Andachten gehörten zu den Eigenheiten dieser sozialdiakonischen Einrichtung, in der auch Obdachlose Quartier fanden.

Das Evangelische Vereinshaus wurde bereits 1899 wesentlich erweitert. Andere Erweiterungen und Umbauten dienten danach den wechselnden Zwecken des Komplexes. Die Räumlichkeiten dienen seit 1920 der gesamten Kirchengemeinde und werden heute nach zwischenzeitlicher Nutzung als Hotel Ravensberger Hof vom Kirchenkreis als Verwaltungssitz genutzt.

1882 öffnete neben dem Evangelischen Vereinshaus auch die erste Gütersloher Kinderschule an der Moltkestraße. Sie entstand aus den Zinsen einer Stiftung in Heinrich Barths Testament von 1858 sowie den Sammlungen von Damen aus der evangelischen Gemeinde und des Vaterländischen Frauenvereins. Zunächst wurden 71 Kinder dort, doch die Zahl wuchs rasch an.

1891 wurde die zweite Kinderschule provisorisch im Evangelischen Vereinshaus eröffnet. Sie fand 1892 Platz in einem Neubau an der Friedrichstraße, wo die Zahl der zunächst betreuten 56 Kinder in kürzester Zeit auf über 200 anstieg.

Kinderschule Moltkestraße 1910
Kinderschule Moltkestraße 1910

1903 errichtete Ferdinand Bartels eine eigene Kinderschule an der Grünen Straße. Die Gründung der vierten Kinderschule im Gütersloher Industrieviertel resultierte unmittelbar aus der Tatsache, dass während des Ersten Weltkrieges immer mehr Frauen die zum Militär eingezogenen Männer in der Produktion ersetzten. Zur Betreuung der Kinder entstand er 1916 zunächst im Speisesaal der Weberei Wilhelm Bartels. 1923 bezog der Kindergarten einen Neubau an der Oststraße.

Die 1849 von Friederike Barth gestiftete Handarbeitsschule diente zunächst der Förderung armer Mädchen in hauswirtschaftlicher Hinsicht. Sie sollten vor allem die Techniken zur Pflege und Instandhaltung ihrer Kleidung lernen. Ende des 19. Jahrhunderts sollten dann ältere Mädchen in einem Internat gründlicher in hauswirtschaftlichen Fertigkeiten ausgebildet werden. 1908 errichtet die Gemeinde deshalb ein Gebäude an der Hohenzollernstraße, das neben der Handarbeitsschule vor allem als Schwesternheim für die wachsende Zahl von Gemeindeschwestern diente.

Kirchliche Vereine

Die Sportler des evangelischen "Ecihenkreuz"-Bundes in der Jahn-Turnhalle
Die Sportler des evangelischen "Ecihenkreuz"-Bundes in der Jahn-Turnhalle

Das Leben der evangelischen Vereine scheint sich nach dem derzeitigen Forschungsstand in zwei Phasen teilen zu lassen. In einer ersten Phase bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die erweckungsbewegten Versammlungen und Konventikel in den Häusern der Gemeindemitglieder Vorläufer des späteren Vereinslebens. Der Missionshilfsverein von 1829 und der Missionsnähverein gehörten zu dieser Form der Erweckungsbewegung. Unter Mission verstand man seinerzeit die Gewinnung der Nachbarn und Zeitgenossen für die Erweckung „ etwa mit Hilfe von Missionsfesten. Erst nach 1870 wandelte sich der Begriff zur Beschreibung der Tätigkeit christlicher Missionare in nichtchristlichen Ländern – für deren Söhne die Gütersloher Gemeinde das Johanneum als Heim während des Besuchs des Evangelisch Stiftischen Gymnasiums unterstützte.

Lebensprägender evangelischer Verein für viele Männer war der Enthaltsamkeitsverein, der am 14.11.1845 gegründet wurde und schnell über 600 Mitglieder zählte. Zu den Festen des Vereins kamen gelegentlich tausende von Menschen aus der Umgebung nach Gütersloh. Der Verein stellte aber schon in den 1850er Jahren seine Tätigkeit weitgehend ein.

 

Im Sinne der evangelischen Jugendarbeit war vor allem die Gründung des Jünglingsvereins 1874 von Bedeutung. Zusammen mit dem 1883 für die weibliche Jugend gegründeten Verein waren die Jugendarbeit unter der Leitung von Pastor Max Huyssen zu einer Unterhaltung, Fortbildung und Frömmigkeit miteinander verbindenden Organisation mit dem 1882 eröffneten Evangelischen Vereinshaus als zentralem Treffpunkt geworden. Die Zahl der Mitglieder stieg ebenso rasch an wie die unterschiedlichen Gruppen vom Basteln bis zum Sport in immer neuen Formen der Arbeit unter der Leitung bewährter Jugendlicher. Der heutige CVJM Gütersloh ist aus diesen Anfängen hervorgegangen.

1876 war ein eigner Posaunenchor aus der Jünglingsarbeit hervorgegangen, der ebenso das Gemeindeleben musikalisch bereicherte wie die Kirchenchöre.

1896 entstand mit dem Blauen Kreuz unter der Leitung von Pastor Meinshausen wieder eine Gruppe, die gegen die Schäden durch Alkoholkonsum engagiert war.

Friedhof

Friedhof Unter den Ulmen
Friedhof Unter den Ulmen

Der alte Friedhof am Kirchplatz war bereits um 1810 belegt. Man beschloss deshalb die Beerdigung der Toten der Reihe nach, also immer in frei werdende Grüften. Dies erwies sich nicht als praktikabel. Also wollte man nun nur noch die Angehörigen von Familien mit Erbbegräbnissen auf dem Kirchhof beerdigen. Die übrigen sollten auf einem „neuen Gottesacker“ der Reihe nach bestattet werden. Dieser Friedhof lag wohl neben der katholischen Schule an der Dalkestraße.

1826 beschloss der Gemeinderat die Verlegung des Friedhofes auf ein Gelände des Colons Westmöller an der Chaussee nach Wiedenbrück. Die Verwirklichung des Beschlusses zog sich bis 1831 hin, obwohl der künftige Platz bereits 1829 vermessen worden war.
Die Verlegung des Friedhofs war in vielen Gemeinden notwendig geworden, obwohl es in kirchlicher Tradition üblich war, die Gräber an der Kirche anzulegen. Mit dem Anwachsen der Bevölkerungszahl und aus hygienischen Gründen etwa zur Vermeidung von Verschmutzungen des Trinkwassers musste über die Verlegung durchgeführt werden. Das Allgemeine Preußische Landrecht schrieb seit 1794 die Anlage neuer Friedhöfe außerhalb der Orte vor.

 

Der Friedhof „Unter den Ulmen“ auf dem ehemals Westmöllerschen Grundstück ist eine der ersten baulichen Anlagen, die außerhalb der seinerzeit nicht genau festgelegten Stadtgrenzen entstand.

Der Friedhof wurde übrigens genau wie der alte am Kirchhof als ein gemeinsamer Friedhof von Katholiken und Protestanten betrieben. Dazu wurde ein neuer Vertrag abgeschlossen, der auch nach der Auflösung des Simultaneums gültig blieb. Daher ist der Friedhof, obwohl er von der evangelischen Kirchengemeinde verwaltet wird, bis heute ein Simultanfriedhof.