Wirtschaft: Ländliche Produktion

Spinnen

Häusliches Spinnen. Aufnahme aus dem Kreis Herford aus dem Jahr 1910
Häusliches Spinnen. Aufnahme aus dem Kreis Herford aus dem Jahr 1910

Die Garnherstellung war lange einer der wichtigsten Erwerbszweige der Menschen ohne eigenes Land, die in den Heuerlingshäusern oder Kotten der Bauernhöfe lebten. Rund 15000 Menschen in Gütersloh, Avenwedde, Friedrichsdorf, Rheda und Rietberg, so schätzte Emil Mangelsdorf 1910, hätten einst als Garnspinner gewirkt. Sie verdienten ihren Lebensunterhalt damit, aus dem bereits gebrochenen Flachs die weichen Fasern zu lösen und vor allem daraus dann Leinengarn zu spinnen.

 

Der Einsatz an eigenem Kapital war meist gering, da oft die Spinnräder mit dem Flachs vom Verleger geliefert wurden. Bezahlt wurden die Spinnerinnen und Spinner nach der Länge und der Feinheit der von ihnen gedrehten und aufgespulten Fäden.

 

Die Spinnerinnen und Spinner aus Gütersloh und den umliegenden Bauerschaften einschließlich Avenweddes waren bekannt für die gute Qualität ihrer Produkte. Ein Grund dafür war wohl die Vorsicht, mit der sie das Flachs behandelten: Die Rohfaser wuchs nicht auf dem sandigen Boden und mußte teilweise aus dem Raum Werther und Halle nach Gütersloh transportiert werden. Andererseits hatte man die Gelegenheit genutzt, mit dem hier wachsenden groben Hanf als Faserpflanze zu üben und auch ihn in hoher Qualität zu Garnen zu verarbeiten. Aufgrund dieser Fähigkeiten konnten die Gütersloher Garne aus Flachs sogar zu den feinen Brüsseler Spitzen verarbeitet werden.

 

Die Garn-Herstellung von Hand wurde durch die Erfindung von Spinnmaschinen in England seit 1785 unrentabel. Verzögert durch die Handelsperre gegen England unter Napoleon, die bis 1815 wirksame Kontinentalsperre, wurden ab etwa 1820 immer geringe Preise für die Garne gezahlt.

 

Die Folge war die Verelendung der ehemaligen Spinner wegen zunehmender Arbeitslosigkeit. Etliche von ihnen wurden Lumpenhändler oder Tagelöhner. Erst die beginnende Industrialisierung ab 1870 gab den Heuerlingen und Mietern ohne Land in größerer Zahl wieder Arbeitsplätze.

Getreide

Angenete & Wulfhorst um 1900
Angenete & Wulfhorst um 1900

Getreide war für Gütersloh seit dem Bau der Eisenbahn 1847 eines der wichtigsten Handelsgüter geworden. Einerseits hatten die hiesigen Bäcker einen entsprechend der Bevölkerung wachsenden Getreidebedarf, zum anderen wurde Getreide in den meisten Brennereien als Grundstoff für die Kornbrennerei genutzt.

 

Das Fachwerkhaus des Stadtmuseums wurde seit 1868 von der rasch wachsenden Kornhandlung Angenete & Wulfhorst genutzt. Das Unternehmen setzte in diesen Jahren zunehmend mehr Getreide um. 1874/75 erweiterten Angenete & Wulfhorst ihr Geschäft um das rote Backsteinhaus als neues Lagergebäude.

 

Der Kornhandel war von besonderer Bedeutung, weil die Landwirtschaft im heimischen Raum die hier benötigten Mengen Getreides trotz des allmählichen Wachstums an Anbauflächen und Erträgen nicht liefern konnte. Deshalb war es für die heimischen Händler durchaus von Vorteil, wenn seit 1870 Getreide-Importe aus Rußland, Großbritannien und den USA preisgünstiger wurden als die hier erzeugten. Die Folge für die Landwirte war allerdings heftig: Die heimischen Getreide mußten ebenso billig angeboten werden wie die Getreide des Weltmarktes – ein heftiger Preisverfall setzte ab 1875 ein, den auch hohe "Schutzzölle" nicht wirklich ausgleichen konnten.

Dampfbetriebene Dreschmaschine in Sundern um 1930
Dampfbetriebene Dreschmaschine in Sundern um 1930

In Gütersloh lebten vom Getreidehandel und dessen Weiterverarbeitung unter anderem auch die Dampfmühle Plange an der Königstraße sowie beispielsweise die Wassermühlen Avenstroth, Barkey und Neue Mühle.

Getreide verarbeiteten auch die beiden Nudelfabriken und die immer größer werdende Bäckerei Mestemacher für ihre Pumpernickel.

Vieh

Vieh diente den Bauern zunächst meist als Mittel zum Erhalt des eigenen Lebens. Erst die verbesserten Konservierungsmöglichkeiten und bessere Transportwege zu den wachsenden Märkten in den Städten veränderte nach der Ablösung der alten herrschaftlichen Abgabepflichten ab 1820 ("Bauernbefreiung") die Viehzucht. Vieh war allerdings oft auch als Mitesser lästig gewesen. Nützlich wurde es erst, als die Getreidepreise um 1875 fielen. Viehzucht als Grundstoff für Fleisch, Fett, Milch und Butter der Menschen im Industrierevier an Rhein und Ruhr bot einen neue Chance für die Landwirtschaft.

Heuernte auf dem Kiebitzhof
Heuernte auf dem Kiebitzhof

Zunächst wuchs der Bestand an Reit- und Wagenpferden durch Züchtungen bis etwa 1870 trotz mehrerer Beschlagnahmen durch das preußische Militär immer wieder an. Seit etwa 1870 bevorzugten die Bauern stattdessen die gewinnbringendere Zucht von Rindern und Schweinen, deren Absatz wegen des Bevölkerungswachstums und des wachsenden Einkommens immer mehr anstieg. In der Stadt Gütersloh gab es 1870 wegen des Krieges nur 60 Pferde, 1908 jedoch 222. Im Amt Gütersloh stieg die Zahl von 145 auf 280 Tiere an.

 

Nach Feststellung des Gütersloher Bürgermeisters a.D. Emil Mangelsdorf wurde die Schweinezucht die "von allen Vieharten gewinnbringendste" (1910). Durch entsprechende Zuchtmaßnahmen wurde aus den unruhigen, langsam Fleisch ansetzenden heimischen Münsterländer Schweinen unter dem Einfluß englischer Eber ein vorzüglicher Schlag mit wesentlich verbessertem Fleischertrag. Von 1871 stieg die Zahl der Schweine von 298 auf 552 Stücke in der Stadt und von 951 auf 4078 Tiere in den Bauerschaften des Amtes Gütersloh. Im gesamten Kreis Wiedenbrück wuchs der Bestand in dieser Zeit um 539 Prozent.

 

Bei der Rinderzucht verbesserte sich der Fleischertrag pro Rind von ursprünglich etwa 450 bis 600 Pfund auf teilweise bis zu 1000 Pfund Lebendgewicht. Die Zuchtorganisationen förderten nur die Schwarzbunte Rasse, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Gütersloh praktisch gar nicht vorkam, um 1900 jedoch bereits die wichtigste Rasse war. 1871 wurden in Gütersloh-Stadt noch 311 Rindviecher gezählt, 1908 waren es 112. Der Trend war jedoch unüblich, da die Landwirtschaft im Stadtgebiet an Bedeutung verlor – im Amt waren es erst 1235 und 1908 dann 2052 Stücke.

Schafherde
Schafherde

Wesentlich verminderte sich in diesen Jahren insgesamt die Zahl der Schafe. Sie hatten mit ihrer Wolle noch eine gewisse Zeit lang einem Teil der ehemaligen Garnspinner Arbeit gegeben. Ende des 19. Jahrhunderts aber waren auch viele der alten Ödlandflächen bereits von der intensivierten Landwirtschaft genutzt oder von der wachsenden Zahl der Menschen genutzt worden. Schafzucht lohnte nicht mehr.

 

Im Stadtarchiv berichten über diese Entwicklungen die Akten über Viehzählungen oder Emil Mangelsdorfs Darstellung "Die Entwickelung des Kreises Wiedenbrück unter der Herrschaft der Kreisordnung für die Provinz Westfalen vom 31 Juli 1886" von 1910.

 

Milch

Grasende Kühe auf einer Wiese am Oelbach
Grasende Kühe auf einer Wiese am Oelbach

Die Revolutionen in der westfälischen Landwirtschaft um 1870 betrafen auch die Milchwirtschaft. Eine durchschnittliche Kuh lieferte seinerzeit nur rund 1300 Liter Milch pro Jahr. Etwa vierzig Jahre später waren fast 2500 Liter Milch zu melken, denn Feldfutter und Hackfrüchte verbesserten die Ernährung der Milchkühe und Kraftfutter konnte importiert werden.

 

Die Milchwirtschaft wurde im Raum Gütersloh auch durch verbesserte Kühlung und durch die technisierte Milchverarbeitung mit Milchzentrifugen und Buttermaschinen ertragreich. Solche Geräte, zu deren größten Herstellern die 1907 von Herzebrock nach Gütersloh übersiedelnde Firma Miele gehörte, zielten auf die Milchverarbeitung auf dem Hof.

 

Die aufkommenden Molkerei-Genossenschaften der Bauern begannen um 1900 allerdings mit einer zentralen Verarbeitung von Milch zu Butter und anderen Milchprodukten, was auch zu verbesserten Absatzwegen führte. Die erste Molkerei-Genossenschaft Gütersloh errichtete ihr Gebäude nahe der heutigen Carl-Bertelsmann-Straße – an der heutigen Molkereistraße.

Milchanlieferung durch die Bauern bei Molkerei Strothmann 1947
Milchanlieferung durch die Bauern bei Molkerei Strothmann 1947

1903 gründete Herrmann Strothmann in Gütersloh einen Molkereibetrieb, der bis heute als private Molkerei besteht.

Brennerei

Haus Stahl am Domhof um 1890
Haus Stahl am Domhof um 1890

Brennrechte besassen in Gütersloh zahlreiche Höfe. Deren Produktion erlosch jedoch meist im Laufe des 19. Jahrhunderts, da gewerbliche Brennereien wie die Kornbrennereien von Heinrich Niemöller in der Münsterstraße (1823) oder Friedrich Niemöller (1820) in großem Umfang produzierten und Spirituosen handelten.

Die älteste Brennerei am Platze war die unter dem Namen Carl Stahl bekannt gebliebene Destillerie am Domhof mit ihren Vorbesitzern Friedrich-Wilhelm Welpmann (1640-1688) und Wilke.

1841 verlegte die 1770 in Steinhagen gegründete Brennerei H.C. König ihren Sitz in die Häuser an der Ecke Münsterstraße/Berliner Straße. Sie stellte dort (bis etwa 1970) den "Steinhäger-Urkönig" her.

Das große Faß der Brennerei Elmendorf fast 20000 Liter
Das große Faß der Brennerei Elmendorf fast 20000 Liter

In Isselhorst hatte die Brennerei Elmendorf ihren Betrieb mit einem Patent des Großen Kurfürsten bereits 1689 aufgenommen. Ihre Produkte waren nicht nur in Deutschland anerkannt wie die Goldmedaillen auf den Weltausstellungen in Chicago und London beweisen. Auf der Weltausstellung in Philadelphia wurde 1895 ein besonders kunstvoll gefertigtes Eichenfaß des Familienbetriebes gezeigt.

1898 wurde das große Elmendörfer Faß von Holzbildhauern hergestellt. Es ist mit 20.000 Litern Fassungsvermögen das wohl größte in Deutschland – und als Sehenswürdigkeit in der Brennerei im Zentrum von Isselhorst noch zu besichtigen.

Brauerei

Margarine-Aktie
Margarine-Aktie

Die Gütersloher Brauerei wurde 1868 von Bürgermeister von Schell, Apotheker Krönig und vier Kaufleuten gegründet. Unter der Leitung von Richard Plange wuchs die Brauerei an der Friedrichstraße rasch und belieferte wahrscheinlich sogar mit der Bahn Teile des Ruhrgebietes mit ihren Bierprodukten. Während des Ersten Weltkrieges wurde im Juni 1918 die Bierproduktion in der inzwischen der Dortmunder Aktien-Brauerei gehörenden Fabrikanlage eingestellt.

 

Die Fabrikanlagen dienten seit Oktober 1918 einer Marmeladenfabrik, der Lagerung von Fleisch- und Fettwaren durch die Rheinisch-Westfälische Speckversorgung. 1923-1925 produzierte hier eine Margarine-Fabrik und 1933 bis 1945 waren hier nationalsozialistische Organsationen wie die Hitler-Jugend und die städtische Luftschutzzentrale untergebracht. Nach 1945 diente das Gelände dem städtischen Bauhof.

Brauerei von der Friedrichstraße aus, um 1900
Brauerei von der Friedrichstraße aus, um 1900

Die ehemaligen Eiskeller der Gütersloher Brauerei dienen seit 1949 als Garderoben und Spielstätten "Podium" und Studio des Gütersloher Theaters.

 

Im Stadtmuseum werden in der Dauerausstellung 1868 unter anderem eine Bierflasche der Gütersloher Brauerei und eine Bierkiste gezeigt.